Als
Halbwüchsige verkündete ich meinen Eltern gerne, dass ich einmal in
einer Bank arbeiten wollen würde. Andere Eltern hätten vielleicht mit
großer Freude reagiert, meine fanden es eher absurd. Nicht nur, weil
mein Großvater selbst einmal ein Bankhaus besaß und all das verkörperte,
wogegen die Wirtschaftswunder-Kinder später als junge Erwachsene
rebellierten. Dass nun die eigenen Kinder Sympathien für die
konservativen Großeltern und ihre Lebensansichten hegen könnten, war
nicht das, wofür die Babyboomer gekämpft hatten. Man könnte natürlich
auch sagen, dass wir, die Mitglieder der Generation Y, überhaupt nur mit
unseren Großeltern so etwas wie rebellieren konnten. Aber nur ein klein
wenig. Weil eigentlich fanden wir unsere Eltern auch in unserer
Pubertät ziemlich cool und ein wirklicher Ausbruch war nicht notwendig.
Heute
fällt das Kopfschütteln über die jungen Leute, die früh heiraten oder
überhaupt heiraten nur noch sehr müde aus. Der Zeitgeist, in den man
geboren wird und der jeden erfasst, ohne dass man wüsste, wie das
eigentlich genau geht, hat uns den Blick zurück quasi in die Wiege
gelegt. Will meinen: wir haben von unseren Eltern die Barbara
Rütting-Rezepte im Gepäck und das Einkaufen in Bio-Supermärkten endlich
zu einem vorzeigbaren Lifestyle gemacht, den man unbedingt auf Instagram
teilen muss. Aber das selbstgebackene Brot und die eingekochte
Marmelade der besten Freundin wird dann auf dem edlen Meissner
Porzellan-Service der Großeltern serviert. Die Servietten müssen zum
Geschirr passen, das Silberbesteck poliert man jeden zweiten Samstag und
fehlende Teile hofft man auf Etsy wiederzufinden.
Ob
man da nun von einem neuen Biedermeier sprechen mag? Nach dem Besuch
einer Ausstellung über die 1920er Jahre in der deutschen Hauptstadt kann
man auf jeden Fall zur Ansicht gelangen, dass man heute - die neuen
20er Jahre stehen ja nicht nur zahlenmäßig wieder vor der Tür - von
einem "Tanz auf dem Vulkan" sprechen kann. Zumindest den Vulkan
jedenfalls gibt es, aber das Bedürfnis nach ekstatisch durchtanzten
Nächten ist, entgegen aller Berlin-Klischees, nicht ganz so dringlich
wie es einmal gewesen zu sein scheint. So entnehmen wir zumindest den
Hinterlassenschaften der Zeitzeugen. Es ist weniger der unstillbare
Lebenshunger, der einem an jeder Straßenecke auflauert, als vielmehr die
Angst vor dem Kontrollverlust über das eigene Leben und die empfundene
Nichtigkeit eines jeden Strebens. Und so verspürt manch einer heutzutage Vitalität nur mehr im Tod. Schafft Bedeutung, indem er dabei andere mitnimmt.
Aber
wo waren wir noch einmal stehen geblieben? Genau, beim Meissner
Porzellan. Wer also konnte schon ahnen, zumindest mein kindliches Gehirn
konnte es noch nicht, dass das gepflegte Chaos eines Künstlerhaushalts
die beste Vorbereitung auf das Leben war? Mit all seiner
Unübersichtlichkeit und Unbeständigkeit. Sicherheit ist eine Illusion.
So wie die Piemont-Kirsche eine raffinierte Marketing-Erfindung von
Ferrero ist. Wenn man daran glaubt, ist es vielleicht erfüllend, man
könnte aber auch böse erwachen. Wie singt Hildegard Knef so schön?
"Illusionen sind das, was uns am Leben hält."
Sagen
wir mal so: Die Bank meines Opas wurde am Ende geschluckt. Und die
Illusion eines sicheren Lebens ging stark auf Kosten der eigenen
Freiheit. Was einen irgendwie wieder zurück zum Thema Hochzeit führt.
Da
fällt mir ein, die Flirttipps meiner Oma waren beim Finden eines Mannes
nicht besonders hilfreich: "Mädchen im heiratsfähigen Alter müssen
tanzen können." bläute sie mir und meiner Cousine immer wieder ein.
Aber
heute geht man eben weniger tanzen, als dass man sich den Kick in
radikalen Gruppen holt, ob nun mit religiöser Garnitur oder ohne. Ein
nacktes Frauenbein zumindest ist kein Skandal mehr – und jede
Vorstellung von "Sicherheit" eine ebenso relative Angelegenheit wie die
Anstößigkeit beliebiger Körperteile. Auf also zum nächsten Vulkan, so
lange sich der Weg noch findet. In diesem Sinne: Alles Walzer!
(Dieser Text ist im Option Magazin erschienen)
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