Urschrei: Weiblichkeit als neuer Luxus?

Wissen Sie, was amüsant ist? Damals, als ich mir mit Sechzehn mehr durch Zufall meinen ersten Mantel aus den 60er Jahren kaufte und mich für ein passendes Styling dazu entschied, riefen mir auf der Straße immer wieder Menschen "Marilyn Monroe" hinterher. Sie war scheinbar das Einzige, was sie mit dieser Art von Äußerem verbanden. Dass sie ihre Haare weißblond trug und ich zu meiner braunen Naturhaarfarbe stand, tat offenbar nichts zu Sache. 
Sechzehn Jahre später werde ich, wenn es nur irgendwie die Situation erlaubt, gefragt, ob ich eigentlich ein Mann bin oder früher einmal einer war. Es mag sein, dass ich mir das nur einbilde, aber ich finde, das erzählt etwas über die aktuelle Stimmung in der Gesellschaft.
 
Die Beurteilung des Äußeren begleitet, wie der Sexismus, Frauen schon ab ihrer Kindheit. Und das sogar, wenn man sehr behütet und fernab der Modeindustrie aufwächst, wie ich es tat. Ich möchte nicht abstreiten, dass Jungs nicht auch einmal auf die seltsamen Blüten, die die Pubertät styletechnisch so treiben kann, angesprochen werden, dennoch wird sich um die Mädchen immer mehr Sorgen gemacht. Und das Ungleichgewicht bleibt. Ich vermute, bis zum Ende des Erwerbslebens.
Dennoch empfand ich den Kommentar von Barbara Kuchler (DIE ZEIT), der kürzlich im Zuge der #metoo-Debatte erschien, mehr als fragwürdig. Kurz zusammengefasst fordert sie darin die Frauen auf, sich quasi dem Mann modisch anzupassen, körperunbetonte Kleidung zu tragen und die Energie nicht für Äußerlichkeiten, sondern für Karriere und Bildung zu nutzen. Und auch, um dem Sexismus zu entkommen – ohne Reiz, keine (Grapsch-)Reaktion – so ihre Meinung.
 
Interessant doch, dass sich die Inszenierung von Weiblichkeit heutzutage gewissermaßen immer verdächtig macht. In welcher Art auch immer, sicher ist: wer als Frau Gehör finden möchte, muss die Weiblichkeit aufgeben. Angela Merkel ist hier ein Beispiel, das sich aufdrängt. Sie repräsentiert einen Staat, aber als Frau ist sie unkenntlich.
Der Geistesmensch ist in unserer Gesellschaft männlich codiert. Der Mann unterstreicht mit Beginn der 20. Jahrhunderts, dass er auf Äußerlichkeit keinen Wert legt und Wichtigeres zu tun hat. Während die Frau quasi bis heute als die ewig Rückständige gilt, die nichts weiter im Kopf hat als ihr Äußeres reizvoll zu verpacken und sich darzubieten. Weiblichkeit, so stellt Modetheoretikerin Barbara Vinken fest, steht immer im Verdacht von Dummheit und Frivolität.
 
Einen derartigen Ansatz zur Verkollektivierung der Geschlechter mittels Kleidung halte ich eher für eine sinnlose Anpassung an die patriarchale Welt. Und die Männer in Anzügen haben der Erde nun auch nicht besonders gut getan, oder? Der uniformierte Mann als Sinnbild für Vernunft und Leistungsfähigkeit ist ebenso ein hohles Klischee wie das der Frau, deren Geisteskräfte sich im Auflegen von Lippenstift bereits erschöpfen.
Lookism, also die Diskriminierung auf Grund des Aussehens, ist mir schon seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn regelmäßig widerfahren. Ich habe mich aber nie gefragt, was falsch an mir ist, sondern was eigentlich falsch in dieser Gesellschaft läuft, dass der Kleidungsstil derartig über die Beurteilung der Kompetenz entscheidet. Und da ist so einiges im Argen. Wir sollten den Mann aus seinem Uniformzwang befreien und ihn sich mit seiner neuen "Nacktheit" beschäftigen lassen. Er hat sich schon viel zu lange verstecken können und geglaubt, er kann es sich leisten, auf Charme und Eleganz zu verzichten. In der Zwischenzeit gilt wohl weiterhin: Sie sollten Weiblichkeit als ein Akt der Rebellion betrachten und sich nichts anderes einreden lassen.    
 
(Dieser Text ist im Magazin Option erschienen)

Urschrei: Alles Wurst, oder was?

Als Facebook 2014 in Deutschland die Einstellungen änderte und seine Mitglieder sich von nun an bei der Geschlechterfrage in ihrem Profil nicht mehr nur zwischen männlich und weiblich entscheiden konnten, sondern zudem weitere 58 Möglichkeiten zur Verfügung standen, rückte die Idee einer ganz anderen Definition von Geschlecht in die breitere Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Die nämlich von der Bedeutungslosigkeit des biologischen Geschlechts und der freien Wählbarkeit seiner Geschlechtszugehörigkeit, weit über die zwei bekannten Möglichkeiten hinaus.

Mit aktuell 30 Millionen aktiven Nutzerinnen und Nutzern bildet Facebook durchaus gesellschaftlich relevante Strömungen ab. Und eine ist klar zu erkennen: es gibt mehr als eine Handvoll Menschen, die sich mit der klassischen Zwei-Genderung nicht identifizieren können. Die Diversität der menschlichen Geschlechteridentitäten oder, um es mit Magnus Hirschfeld zu sagen, dem Sexualforscher und Mitbegründer der ersten Homosexuellen-Bewegung, der sexuellen Zwischenstufen, wurde allerdings auch mit den 58 Möglichkeiten bei Facebook nicht annähernd abgebildet. Weshalb Facebook auch dazu überging, dass nun in den Profileinstellungen zwischen männlich, weiblich und benutzerdefiniert gewählt werden kann. Das Dropdown-Menü ist, konsequenterweise, inzwischen verschwunden. Es gibt nun schlicht einen freien Platz – "Dein Geschlecht hinzufügen" – für einen selbst gewählten Begriff.

Dass es schon immer Menschen gab, die sich nicht in der festgelegten Zweigeschlechterordnung wiederfinden konnten, mag vielleicht für den ein oder anderen überraschend scheinen. Hauptsächlich wohl deshalb, weil es außerhalb der Heteronormativität offiziell keine Alternativen gab und diese auch nicht auf anderen Wegen sichtbar gemacht werden konnten. Das Internet hat in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten geschaffen. Dennoch ist es in Deutschland rein rechtlich nicht möglich, etwas anderes als eine Frau oder ein Mann zu sein. Dazwischen gibt es nichts.

Ebenfalls im Jahr 2014 gewann die von Thomas Neuwirth zum Leben erweckte Kunstfigur Conchita Wurst, eine Diva mit Bart, den Eurovision Song Contest. Der Sieg von Conchita erschütterte, zu meiner Überraschung, die Grundfesten des heteronormativen bipolaren Geschlechtersystems außerordentlich. Und das, obwohl die Kunstform bzw. queere Praxis des Draggings eine lange Tradition hat und Dragqueens wie z.B. Olivia Jones schon länger durch jeden deutschsprachigen Fernsehsender, egal welcher Couleur, hüpfen. Man hätte meinen können, Travestie gehört längst zum Alltag.
Doch dadurch, dass Conchita Wurst nicht alle männlichen Attribute durch weibliche ersetzt, sondern beides mischt und eine Gleichzeitigkeit von Mann und Frau zulässt, war für einige das Ende der Komfortzone und zugleich auch der Sprache erreicht. Die Geschlechterunklarkeit löste Unbehagen aus, auch sprachlich. Sie, er, es – was sollte das sein? "Kunst" sagte Neuwirth und zeigte damit nur noch deutlicher auf, dass es in der Geschlechterfrage immer noch wenig Platz für Humor und Abweichungen gibt.

Das bekommen auch Menschen wie Lann Hornscheidt zu spüren, die sich für eine geschlechtergerechte Sprache einsetzen. Hornscheidts Idee geht viel weiter als die Ausmerzung des generischen Maskulins, dem mittlerweile offiziell der Kampf angesagt wurde, und eckt damit gehörig an. Zudem möchte Hornscheidt persönlich weder als Mann noch als Frau bezeichnet werden und löst damit so viel Hass aus, dass für diese Art von Zuschriften eine eigene Emailadresse eingerichtet wurde.

Derweil ist es doch eigentlich recht spannend, sich einmal zu fragen, wie sich die Gesellschaft bei der tatsächlichen Abschaffung der Zweigeschlechtlichkeit neu ordnen würde. Zwar greift diese Idee selbstverständlich die eigene Identität an. Aber ist nicht gerade diese Möglichkeit des Ausbrechens aus dem simplifizierenden Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit eine Chance, nicht nur die zu inkludieren, die bisher von ihr ausgeschlossen wurden, sondern zugleich auch grundsätzlich in der eigenen Wahrnehmung der Vielfältigkeit der Welt den Raum zu geben, der ihr auch zusteht?

Bedeutet doch diese Erweiterung der Benennungsmöglichkeiten schließlich nicht, dass fürderhin niemand mehr sagen dürfe, dass er oder sie – ganz oldschool – ein Mann sei oder eine Frau.

(Dieser Text ist im Option Magazin erschienen)

Urschrei: In schwierigen Höhen

Dr. William Masters: "Ihr Höhepunkt dauerte meinen Messungen nach 9 Sekunden."
Prostituierte: "Der war vorgetäuscht."
WM: "Sie hatten gar keinen Orgasmus?"
P: "Ist das jetzt Ihr Ernst?"
WM: "Ja, natürlich. Sie haben so getan, als hätten Sie einen Orgasmus? Ist das eine übliche Handlungsweise bei Prostituierten?"
P: "Das ist eine übliche Handlungsweise bei allen Menschen mit ‘ner Möse. Frauen täuschen Orgasmen vor, ich würde sagen, fast alle."
WM: "Aber warum sollte denn eine Frau in einer solchen Angelegenheit lügen?"

Dieser Dialog steht am Beginn der Serie "Masters of Sex" über die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler William Masters und Virginia Johnson, die in den 1950er und 1960er-Jahren mit ihrer Feldforschung über das menschliche Sexualverhalten Pionierarbeit leisteten. 

Die Frage, warum eine Frau in "dieser Angelegenheit" denn lügen sollte, war im prüden Amerika der 50er Jahren keine, die offen gestellt werden konnte. Grundsätzlich war Sexualität etwas, das hinter verschlossenen Türen stattzufinden hatte und weniger Vergnügen als eheliche Pflicht war. Der gesellschaftliche Rahmen, die Ehe zwischen Mann und Frau, hatte nicht selten Alibifunktion, die erst andere Freiheiten ermöglichte. Eine Gesellschaft, die ganz selbstverständlich eine Doppelmoral lebte, war die Folge. In Europa sah es nicht anders aus.

Außer- oder vorehelicher Sex waren sozial nicht akzeptiert, diese Ächtung betraf aber vor allem Frauen, sollte es denn zu einem Fehltritt gekommen sein. Die Männer hingegen konnten zumeist ungestraft die Regeln brechen, so lange Ihr Sexualpartner nicht gleichgeschlechtlich war. Sexuelle Abnormität, zu der Homosexualität noch lange zählen sollte (auch Masters und Johnson gingen zunächst noch von einer heilbaren psychischen Störung aus), war einfach alles, das über den schlichten Zeugungsakt hinaus ging. 
Die weibliche Lust spielte dabei lange keine bedeutende Rolle. Sie war für Ehefrauen im Grunde auch nicht vorgesehen. Die einzige Frau, die in diesem männerdominierten Universum Lust empfand (bzw. empfinden sollte und/oder durfte), war die Prostituierte. Mit ihr konnte eine andere Sexualität erlebt werden, die weniger von Tabus geprägt war.

Dass Sex aber tatsächlich zumeist weder für die Frau im ehelichen noch im gewerblichen Rahmen ein großes Vergnügen darstellte, war auch unter Ärzten und Wissenschaftlern kein Thema, dem man sich stellte bzw. zu stellen wagte. Für Masters eröffnete sich im Gespräch mit der Prostituierten – er führte seine ersten Studien in einem Bordell durch – über das Geständnis vom vorgetäuschten Orgasmus demnach eine ganz neue Welt.
 
Johnson, zunächst nur seine Sekretärin mit erweitertem Aufgabenbereich, beantwortet Masters die Frage nach dem vorgetäuschten Orgasmus einmal sehr treffend: "Um einen Mann schneller zum Höhepunkt zu bringen, damit sie (die Frau) wieder machen kann, was sie lieber machen möchte." Bis heute vielleicht noch eine gültige Antwort, denn die "Orgasmus-Lüge" ist weiterhin fester Bestandteil im Sexualleben einer Frau.
Masters und Johnson gingen davon aus, dass wenn eine Frau nicht allein durch die Stöße beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt kommen kann, eine sexuelle Fehlfunktion vorliegen würde. Auch wenn viele dieser Frauen wiederum durch Masturbation den Höhepunkt ohne weiteres erreichen konnten. Die Sexualwissenschaftlerin Shere Hite dagegen ist heute der Annahme, dass 70% der Frauen nicht durch den klassischen Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommen können. Es also eher die Regel als die Ausnahme ist.

Dass eine Frau für den Orgasmus den Mann nicht braucht bzw. sogar ohne ihn einen intensiveren Orgasmus erleben kann, ist eine unangenehme Wahrheit, die trotz sexueller Befreiung nicht an Brisanz eingebüßt hat. Vielleicht sogar eher im Gegenteil. Die vermeintliche Liberalität unserer Gegenwart hebt nicht automatisch die lang etablierten Klischeebilder und Fehlinformationen auf. Ein simultaner Orgasmus ist eine romantische Vorstellung, aber er ist nicht die Norm. Wir sollten uns endlich von dieser fixen Idee befreien. 

(Dieser Text ist im Option Magazin erschienen)

Urschrei: Liebesrausch und Liebeskater

Kennen Sie die Geschichte von den Marula-Früchten und den betrunkenen Tieren? Ist ein schöner Party-Eisbrecher oder wenn einem der Gesprächsstoff bei einem Date ausgeht.
Die Geschichte also geht so. Der Marula-Baum, der in den frostfreien Regionen von Afrika vorkommt, trägt etwa mirabellengroße goldgelbe Früchte, die – ja genau, unter anderem zu einem sahnigen Likör verarbeitet werden, der ledigen Männern bei RTL dabei hilft, vermutlich weil den Früchten eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt wird, ihre "Traumfrau" zu finden – sich einer großer Beliebtheit in der Tierwelt erfreuen. Allen voran die Elefanten, die vom Duft der schnell verderblichen Früchte, magisch angezogen werden. Und da die Dickhäuter und der Marula-Baum quasi ein untrennbares Doppel darstellen, spricht man auch vom Elefantenbaum. Irgendwelche Augenzeugen und der Film "Die lustige Welt der Tiere" aus den 1970er Jahren berichten nun also von Tieren, die nach dem Genuss der gärenden Marula-Früchte durch den Alkoholgehalt in rauschähnliche Zustände verfallen und sich nicht mehr auf den Füßen halten können.

Nun, das ist eine schöne Idee, aber ich muss Sie leider enttäuschen. Diese ganze Marula-Baum-Geschichte ist eine moderne Sage, die sich aber ausgesprochen hartnäckig hält! Vermutlich weil wir im betrunkenen Tier, das nicht mehr ganz Herr seiner Sinne ist, uns selbst wiederkennen (wollen). Vor allem können wir herzlich darüber lachen. Was die Scham erträglicher macht, die uns ernüchtert, über die eigenen Ausfälle im Rausch, einholt.

So geht es uns auch in Liebesdingen. Oder haben Sie nie seltsame Dinge getan als sich Ihr Gehirn frisch im Liebesrausch befand?
Nüchtern betrachtet ist die Liebe ja ein seltsames Phänomen. Aber wenn man drinnen steckt, dann kann man sich ihr eben nur vollständig ergeben und fühlt sich mitunter ganz schön hilflos. Ferner lernt man sich selbst noch einmal von ganz neuen Seiten kennen. Wirft Teller an die Wand oder hegt erstaunlich konkrete Rachegedanken. Trägt das viel zu kurze rote Kleid, das jahrelang verschmäht im Schrank lag, weil die überkritische Wahrnehmung von uns selbst einfach mal so ausgeschaltet wurde. Auch schaffen wir endlich den Spagat zwischen Arbeit und Freizeit, weil wir ein marktwirtschaftsfreundliches Schlafpensum von 5 Stunden absolvieren können ohne uns dabei müde zu fühlen. Morgendliches Workout inklusive. Diese Energie! Beängstigend. Berauschend. Süchtig machend.

Einige meiner Vorgehens- und Denkweisen sind mir im Nachhinein, mit der Wiedererlangung des wohltemperierten Gehirns, vollkommen schleierhaft. Die ganz großen Gesten sind ja auch immer nur dann nicht peinlich, wenn man sprichwörtlich die rosa Brille auf hat. Und natürlich auch nur, wenn sie auf fruchtbaren Boden stoßen.
Das verliebte Gehirn erschafft definitiv eine neue Welt, in der wir vor allem eines sind: mutiger. Das Leben erscheint beeindruckend hürdenlos. Nichts kann einen so schnell aus der Bahn werfen und wenn, schaffen wir es sowieso mühelos wieder zurück. Dabei richtet sich die Energie des unglücklich oder sagen wir noch unsicher Verliebten auf seine Umwelt, während der glücklich Liebende seine Energie nach innen, in die Partnerschaft, trägt. In jedem Fall sind wir zuvörderst risikofreudiger. Oder wie sagt Nick so schön zu Jess – zwei der Hauptprotagonisten aus der Serie "New Girl", die kurzeitig eine Liebesbeziehung miteinander eingehen – als sie sich in ihrer Flitterwochenphase befinden?: "Ich will keine Erstattung für meine Kreuzfahrten und ich will keine Erstattung für Dich!" Und Jess antwortet "Wir werden nie sterben!" (Staffel 3, Folge 23)

Auch wenn Nick und Jess am Ende nur eine Kreuzfahrt gemeinsam antreten müssen, obwohl sie sich zwischenzeitlich getrennt haben – die Reise lässt sich nicht mehr stornieren und es wäre doch schade um das viele Geld – so glimpflich geht das Ende eines Liebesrausches nicht immer aus.
Gerade Frauen setzen in der Liebe gerne einmal alles auf eine Karte, erklärt die Ökonomin Miriam Beblo in einem Interview mit dem Spiegel. Und obwohl 40 Prozent der Ehen geschieden werden, heißt diese Karte bei Frauen in der Regel "Familie" statt "Karriere". Was sie grundsätzlich in eine schwächere Position bringt. Da spielen strukturelle Gegebenheiten und Traditionsdenken mit rein, aber auch, dass Frauen Anerkennung in Form von Geld für sich weniger zu brauchen scheinen.
Es ist vielleicht die schwerste Übung der Liebe, sich nicht vollständig im Paargefüge aufzulösen und den Liebeskater als unrealistisches Szenario abzuhaken. Viel zu gerne singen wir wie das Tofutier von Martin Reinl "Alles von mir, ach nimm doch alles von mir. Siehst Du nicht, ich will es Dir geben…" und landen am Ende komplett im Kochtopf. Das ist ein wenig viel Aufopferung. Sie werden es sich am Ende selbst danken, wenn Sie einen kleinen Rest Ihres Verstandes behalten. In diesem Sinne, einen guten Start in den Frühling!

(Dieser Text ist im Option Magazin erschienen)

Urschrei: Die Nicht-Beziehung

In meiner Umgebung tummeln sich einige Menschen, die eine Nicht-Beziehung führen. Diese Form der Beziehung macht sich für die Umgebung vor allem in der Art und Weise bemerkbar, wie über sie berichtet wird. Egal wie eine Geschichte anfängt, ob Eltern oder Freunde getroffen wurden, eine gemeinsame Reise angetreten oder ein Ausflug in ein schwedisches Möbelhaus gemacht wurde, sie endet immer mit dem Satz "Aber wir sind nicht in einer Beziehung".
Ein weiteres Merkmal ist, dass immer nur ein Teil des Paares eine Nicht-Beziehung ausruft, während die andere Seite dies nicht besonders ernst nimmt, dagegen sprächen einfach zu viele Fakten. Weil es aber dennoch kein offizielles Bekenntnis zu einer Beziehung gibt, endet jede Erzählung eben mit dem Zusatz, es handle sich trotz alledem um keine Beziehung. Wobei dieser Satz genau von jenem Teil des Paares ausgesprochen wird, das die Nicht-Beziehung nicht ausgerufen hat, sondern hinnimmt. Klingt kompliziert. Ist es auch.

Irgendwie muss ich dabei an Alice im Wunderland denken. Also Sie wissen schon, an dieses wundervolle Kinderbuch des britischen Autors Lewis Carroll, das man unbedingt als Erwachsener noch einmal lesen sollte.
Die Titelheldin Alice trifft auf ihrer Abenteuerreise unter anderem auf einen Hutmacher und dessen bemerkenswerten Freundeskreis, die gerade dabei sind eine Teeparty zu feiern. Nicht ganz freiwillig, wie sich herausstellen soll. Der Hutmacher erzählt Alice von seiner früheren Freundschaft zur Zeit, die er beeinflussen konnte wie er wollte. Doch mit dem Befehl der Herzkönigin, den Hutmacher für seinen fehlerhaften Liedvortrag zu köpfen – das Köpfen ist eine große Leidenschaft der Regentin – blieb die Zeit stehen. Seit dem geht die Uhr nicht mehr weiter und für den Hutmacher und seine Freunde ist es stets fünf Uhr, also immer Zeit für den Nachmittagstee. Sie sind in einer unendlichen Tea-Party-Zeitschleife gefangen.
Alice verlässt diese verrückte Gesellschaft befremdet, jedoch mit dem Gedanken, dass es durchaus großartig sein müsste, wenn man denn die Zeit anhalten könnte, es an seinem Geburtstag zu tun. Denn dann könnte man 364 Tage Geburtstag feiern. Und "das Fest würde dann Nicht-Geburtstag heißen."

Vielleicht denkt sich ja der Alice-Teil einer Nicht-Beziehung genau dies. Er findet den Nichtzustand einer Beziehung so aufregend, dass er die Zeit anhalten und für immer eine Nicht-Beziehung feiern möchte. Klingt romantisch, oder?
Hätte das Ganze nicht doch irgendwie einen bitteren Beigeschmack. Und nicht deshalb, weil der Alice-Teil noch irgendwelche Tindergärten nebenher beackern könnte und offiziell ja auch dürfte. Es geht nicht so sehr um ein in Frage stellen der Monogamie, denn die wird in Nicht-Beziehungen nicht selten ausgerufen und geschätzt. Vielmehr geht es doch darum, warum die Bürde für ein Bekenntnis zu einem anderen Menschen so schwierig zu sein scheint, obwohl gerne Zeit mit selbigem verbracht wird.

Und tatsächlich wird es mit voranschreitendem Alter immer schwieriger dieses Bekenntnis überhaupt noch über die Lippen zu bekommen. Je mehr sich das Leben festigt, desto kompromissloser werden wir gegenüber anderen. Manchmal zu recht, manchmal aber auch zu unrecht. Es ist gut zu wissen, was man möchte und nicht mehr möchte, aber kategorisch sollten wir dabei lieber nicht sein. Das Leben passiert nämlich immer dazwischen. Klingt abgedroschen, ist aber so.

Irgendwann, so stellt man fest, sind die Zeiten vorbei, in denen man auf einer Party herumknutscht, am nächsten Morgen irgendetwas unternimmt und dann irgendwie plötzlich zusammen ist. Die Leichtigkeit weicht einem Misstrauen und Abwägen der eigenen Bedürfnisse, gefolgt von der Frage, was man eigentlich (noch) bereit ist aufzugeben für einen anderen Menschen.

Ich halte nicht so viel davon, ein Sind-wir-jetzt-ein-Paar-Gespräch herausfordern zu müssen, entweder jemand will oder will nicht, sagt dies oder lässt es. Und das Unterlassen ist eben auch eine Aussage. Ja, ich mag in dieser Hinsicht ein wenig starrköpfig wirken, aber es zeigt sich immer wieder, dass am Ende des Tages doch alles recht einfach ist. Der Rest ist Spielerei. Schöne und aufregende zwar, aber eben auch schmerzhafte. Denn eine Nicht-Beziehung bleibt am Ende eben genau das, eine Beziehung ohne wirkliches Commitment und ein Teil wird darunter leiden müssen. Während der andere Teil sagt, er habe doch niemals etwas versprochen oder von Anfang an darauf hingewiesen, dass eine Beziehung nun mal nicht möglich sei. Auch wenn das eigene Handeln bei der Gegenseite gegenteilige Hoffnungen geweckt haben könnte.

Jede Beziehung bedeutet Kompromisse einzugehen, auf vielen Ebenen gleichzeitig. Das ist auch gut so, alles andere wäre langweilig. Aber ich finde, dass zumindest eine Sache als grundlegende Basis unabdingbar ist: ein klares Ja zueinander. Es warat wegen der Wertschätzung.

(Dieser Text ist im Option Magazin erschienen)

"Volatile" – Alex Kiessling / HOLLEREI Galerie

Ausstellungsdauer 31.01.2017 bis 24.03.2017, Vernissage am 30.01.2017, 19:00 Uhr
HOLLEREI Galerie, Hollergasse 12, 1150 Wien, www.hollerei-galerie.at
Alex Kiessling, www.alexkiessling.com
 
"Kern der Ausstellung ist eine Serie bisher ungezeigter, großformatiger Portraits, in denen die Flüchtigkeit zwischenmenschlicher Begegnungen thematisiert wird. In den Arbeiten bricht Kiessling die klassische Portrait-Tradition durch sichtverhindernde Verschiebungen („Shifts“) auf, wodurch der ursprüngliche Zweck der Portraits zerrüttet wird: der tradierte Topos wird stattdessen zum Darstellungsvehikel zeitgenössisch-digitaler Bildsprachlichkeiten, und verbindet etwa Aspekte der Rotoskopie und des Datamoshings.
Die Arbeiten weisen einen hohen Grad handwerklicher Perfektion auf, die sich durch Kiesslings Interesse an digitalen Bildmodulierungen stetig von einer klassischeren Portraitkunst entfernen, bzw. diese nachhaltig in Frage stellen und erweitern. Wo Portraitkunst die Illusion von Permanenz zelebriert, wird in den gezeigten Arbeiten vor allem die Flüchtigkeit zeitgenössischer Abbildungssysteme thematisiert."
(Text: Christian Bazant-Hegemark) 

©Alex Kiessling