Miras Sudelbuch: Dezember 2012

Der Weltuntergang wurde ja abgesagt. Vorerst zumindest. Doch was wäre gewesen, wären wir tatsächlich untergegangen? Hätten wir ein Lächeln auf den Lippen gehabt?

 Wir haben es geschafft! Also fast. Es ist Dezember, der Monat, in dem endlich die Welt untergehen soll. Wie lange haben wir darauf gewartet? Das ganze Jahr über haben wir uns gefragt, lohnt sich dies oder jenes eigentlich noch, wenn doch sowieso bald alles vorbei sein wird? Nun können wir also endlich so langsam schon damit beginnen zu überlegen, was wir zum Weltuntergang anziehen könnten. Etwas Besonderes oder Ordinäres? Abendkleid, Jeans oder Schutzanzug? Alles ist möglich. Doch Pustekuchen! Wie so oft wurde uns zu viel versprochen. Ja, das Ende wird kommen, ganz sicher sogar, in vielen Millionen Jahren. Aber eben nicht jetzt! Also doch wieder Weihnachtsgeschenke kaufen, Familienwahnsinn überstehen und sich Gedanken machen, wo und wie man in das neue Jahr kommen will, das auf jeden Fall besser, freudvoller, erfolgreicher, fettloser, sportlicher und zigaretten- und alkoholärmer werden soll. Die Selbstoptimierungsmaschinerie läuft bereits wieder auf Hochtouren. Alles wie immer also.

Nur, was hätten wir getan, wäre es mit uns tatsächlich zu Ende gegangen? Vermutlich einiges bereut. Auch wenn wir jeden Morgen "Non, rien de rien, non, je ne regrette rien" zur eigenen Beruhigung schmettern, das mit dem Leben ohne Reue ist nicht ganz so einfach. Eine australische Sterbehelferin fasst in ihrem Buch "The Top Five Regrets of the Dying" die häufig genantesten Zweifel am Ende des eigenen Lebens zusammen. Die Punkte, mehr Mut sein eigenes Leben so zu leben, wie man es selbst und nicht die Umwelt es für richtig hält, weniger Zeit für die Karriere aufwenden, Beziehungen und Freundschaften pflegen, sich selber erlauben glücklich zu sein und häufiger die eigenen Gefühle äußern, stehen dabei ganz oben auf der Liste. Das Leben bleibt eben ein ewiger Kampf zwischen den eigenen Erwartungen, Erwartungen von denen wir denken, dass wir sie haben müssten, gesellschaftlichen Erwartungen, die wir auszumachen glauben, alten Mustern und der Bequemlichkeit der Gewohnheit. Obwohl uns meist gar nicht so viel passieren kann. Gut, scheitern ist natürlich eine Möglichkeit. Aber besser man hat es probiert und scheitert, als man hat es nie probiert, denn das bereut man am Ende.

Was also tun, für ein reuefreies (Lebens-)Ende? Denn dafür sollten wir auf jeden Fall vorsorgen. Erbsenkonserven und eingemachte Kirschen helfen im Katastrophenfall nämlich nur ein paar Tage weiter zu überleben, aber nicht mehr das gelebte Leben zu ändern. Es heißt also bei Zeiten sorgfältig am Lebensfilm arbeiten. Es ist doch zu schade, dass wir zu oft unser Leben an die Bequemlichkeit und die Angst verlieren, obwohl wir nichts davon haben. Im Froschkostüm ins Büro gehen, in der U-Bahn Gedichte vortragen oder auf der Straße singend tanzen, warum nicht? Wenn es Freude bereitet! Es ist ganz nützlich, wenn man überall für verrückt gehalten wird, legt uns Holly Golightly als Überlebensstrategie ans Herz. Zumindest schafft es einen größeren Freiraum, denn die Sache mit den Konventionen ist doch hartnäckiger als vermutet. Arbeiten wir also an unserem Verrücktheitsgrad, wir werden es uns am Ende danken. Hoch die Tassen, auf ein mutiges Jahr 2013!


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