Helmut-Kohl-Gedächtnislücken


"Verarscht du mich gerade?" Ich hatte mich ziemlich in die Nesseln gesetzt. Vor mir einer dieser gutaussehenden, großen, bärtigen Männer, die gerade so modern sind. Mit vollem Haar und immer einen Tick zu jung. Ich versuchte das süßeste Unschuldlächeln aufzusetzen, das ich je in meinem Leben hervorgebracht hatte, auch wenn bereits alles verloren zu sein schien, mir war nur nicht klar warum. Er wollte Rache! Wien und das Schicksal hatten mich ihm ein zweites Mal in die Hände gespielt und so freute er sich, dass er mir endlich, über ein Jahr später, die kalte Schulter zeigen konnte. Ich bin mir sogar sicher, dass er mich verflucht hat. Er hat so lange Bestellungen ans Universum gesendet, dass es ihn erhörte und mich nun mit allgemeinen Nichtmelden all seiner Geschlechtsgenossen bestraft. Vermutlich muss ich irgendwelche Tiere opfern oder Torten gen Himmel schleudern, um die Götter wieder milde zu stimmen.

Ich weiß, dass es durchaus nicht höflich ist jemanden zu vergessen, den man einmal geküsst hat. Auch wenn so viele doch zum Vergessen sind. Noch unhöflicher ist es nur noch denjenigen später nicht einmal mehr wiederzuerkennen und ein zweites Mal mit lüsternen Augen zu bewerfen. Vor allem wenn er sich nach der nächtlichen Knutscherei tatsächlich dazu durchgerungen hatte sich zu melden. Wovon die moderne Frau ja eher gar nicht mehr ausgeht. Heute bittet man den Mann zum Kuss, fädelt weitere Treffen ein und hofft, dass dessen Angst vor – ja vor was eigentlich? – irgendwann überwunden wird. Vorher unmotiviertes Tauziehen, Panikattacken, Versagensängste und das Breittreten der Lebensgeschichte. Oder wie eine Wiener Sexkolumnistin, deren Name ich (natürlich) vergessen habe, es so trefflich zusammenfasste: Die Frau stellt dem Mann in einer Bar ein Bein und nimmt ihn dann mit nach Hause, um ihn zu verarzten. So beginnen Liebesgeschichten in Wien. Mit einem Unfall. 

Vergessen werden wollen die Herren also nicht. Auf keinen Fall. Nie. Das betonte neulich ein Hosentaschen-Casanova mit besonderem Hinweis auf eben diese vergangene Geschichte. Küssend gab er in einer Atempause zu bedenken, dass er hoffe mir in Erinnerung zu bleiben, anders als einst dieser junge Mann. Bitte, in diesem Land vergisst man ganz andere Dinge, zum Beispiel Steuern zu zahlen oder seine Konten in anderen Ländern, vor allem aber immer die Verpflichtungen jenes Amtes, das man gerade inne hat. Überhaupt kennt man sich in Wien doch vor allem vom Wegschauen. Da ist mein Schwarz-Kuss-Konto doch noch absolut jungfräulich. Außerdem ist es ja glücklicherweise so, dass viele mit ihrem sonderbaren Verhalten sehr bemüht darum sind, dass man sie in Erinnerung behält. Als verkorkste moralisierende Schwätzer. Aber immerhin. Hach, das ist wirklich eine aufregende Zeit für Frauen!

Notizen…
Erwähnt: Irgendwie wiederhole ich mich. Oder es wiederholt sich. Das Leben wiederholt sich. Genau, das wars. Der Beitrag von 2011: http://mirakolenc.blogspot.co.at/2011/10/haben-sie-schon-mal-im-dunkeln-gekusst.html
Artikel: "Als wäre es das letzte Geheimnis des Menschen." Ein Interview mit dem Philosophen Alexandre Lacroix über eine Geste, die biologisch keinen Sinn ergibt, lesen: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/39879
Musik: Tanz der Küsse… Grandios! June Richmond singt "La danse du baiser", hören: http://youtu.be/i3eUV8ltthU
Video: Rita Hayworth in Bestform. "I've been kissed before", sehen: http://youtu.be/1_tOll47T9A
Video: Falls Sie Nachhilfe brauchen was filmreifes Zieren vor einem Kuss angeht, dann gibt es hier Anregung,"Dein Mund ist Musik", sehen: http://youtu.be/epIayBbPYjM

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