Haben Sie noch Sex, oder segeln Sie schon?

Die Alte Donau ist voll mit Krisenmännern auf Segelbooten, die "Der alte Mann und das Meer" spielen und ihre inneren Stürme bekämpfen.

"Und deshalb mache ich jetzt einen Segelschein." brachte neulich schon wieder ein Mann in meiner Gegenwart über die Lippen. Nein, Wien liegt nicht seit Neustem am Meer, ich habe vorsichtshalber noch einmal bei Geologen nachgefragt, auch an mir gehen ja manchmal Veränderungen in der Welt unbemerkt vorüber und nein, es gab keine Welle an Segelbooterbschaften in der letzten Zeit. Vor allem glauben Sie ja nicht, dass hier romantische Fahrten mit der Liebsten geplant sind. Nein! Der gut ausgebildete intellektuelle Mann Ende Dreißig, mit gutem Job und einer Fernbeziehung oder einem anderen Modell, das wenig einfordert, begibt sich von der Mittlebenskrise geschüttelt auf die Binnen-Badewannengewässer der Stadt, um tja, um was eigentlich?

Eines ist klar, die Hochseetauglichkeit wird mit großer Wahrscheinlichkeit nie erlangt, nie gegen die Meerwinde oder -wellen angekämpft werden, denn es ist mehr eine Form der Beschäftigungstherapie, die da auf der Alten Donau betrieben wird. Knoten knüpfen und sich sportlich-frei fühlen – aber bitte mit Maß und kontrollierbar! Bisher habe ich nicht herausgefunden, wie es dazu kommt, dass diese Idee in den Köpfen zu dämmern beginnt, sicher aber ist, dass der Badewannenkapitän sich nicht mehr als solcher fühlt und vor allem von den Kneipen loskommen soll, wo er sonst seine Freiheit demonstriert, wahlweise auch seine unumkehrbare Gefangenheit bejammert, viel trinkt und deutlich jüngere Damen mit seinen Augen bewirft. Manchmal auch ein Lasso nach ihnen, um eine zu fangen und sie mit seiner Seiens- und Schaffenskrise, unerfüllten sexuellen Wünschen und anderen Gefühlswallungen zu quälen, manchmal nur einen Abend, manchmal auch Monate lang. 

Ob diese Art der Krisenbewältigung wirklich hilft, wage ich ja zu bezweifeln. Es fehlt das richtige Abenteuer dabei, der Adrenalinkick, wie es ein Parabelflug bringen würde oder eine schnelle Fahrt mit dem Motorrad. Meinetwegen kann man auch steile Bergwände hochklettern oder mit der Gondel von Wien nach Venedig rudern, irgendetwas auf jeden Fall, bei dem man mit sich selber ringen muss und an seine Grenzen geht. Segeln auf Badewannengewässern ist wie Golfen: Ein Altherrensport. Und was machen die Neo-Segler jetzt im Winter? Cake Pop-Kurse bei Julies Pop Bakery? Sie werden wieder zurück in ihre alte Kneipe, oder vielleicht auch eine neue, weil es sich nach Veränderung anfühlt und alles beginnt wieder von vorn. Bei den Frauen scheint im Gegenzug eine große Waffenscheineuphorie ausgebrochen zu sein. Ich sehe es schon kommen. Die Frauen betreiben Schießübungen zu Land, während die Männer auf den Binnengewässern ertrinken, weil sie blauer als die Donau sind. Weiß der Kuckkuck, was in die Welt gefahren ist. Annie get your gun!

Was der modere Mann in seinen Seesack packen sollte…
Buch: "Lob der Liebe", Alain Badiou. Info
Buch: "Leben ist Überleben", Jacques Derrida. Info
Buch: "How to drive a Tank", Frank Coles. Info
Musicbox: 1. "In meiner Badewanne bin ich Kapitän." Hören
2. "Junge komm bald wieder." Hören
3. "Heimatlos." Hören
4. "Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh´n." Hören
5. "So oder so ist das Leben." Hören

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